Diaspora

Kroatien gehört zu den europäischen Ländern mit der am stärksten ausgeprägten und längsten Auswanderung. Die erste große Auswanderungswelle begann bereits im 15. Jahrhundert und wurde durch die osmanische Bedrohung aus dem Südosten ausgelöst. Das Resultat dieser Auswanderungswellen ist die Entstehung heutiger kroatischer nationaler Minderheiten in Österreich, Ungarn, in der Slowakei und in Italien.

Indem sie den Hauptrichtungen europäischer Migrationsbewegungen nach Übersee folgten, wanderten die Kroaten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und vor allem um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert massenweise nach Nord- und Südamerika, Australien, Neuseeland und in die Südafrikanische Republik aus. Meistens wanderten jüngere Menschen ohne fachliche Qualifikation ab, die nach der Ankunft in die Gastländer in der Regel die härtesten, schwierigsten körperlichen Arbeiten verrichteten. Die erste Generation der Einwanderer sandte regelmäßig Hilfe für die Familienbetriebe in ihrer Heimat. Erst die späteren, im Ausland geborenen Generationen vermochten es, auf der gesellschaftlichen Leiter emporzusteigen.

Kroatische Auswanderer auf einem Schiff nach Kanada im Jahr 1923.
Die Kirche St. Nikolaus in Pittsburgh, die älteste kroatische katholische Mission (1894), abgerissen im Jahr 2013. An derselben Stelle wurde 2015 eine Gedenkstätte errichtet.
Pasko Baburica (Pascual Baburizza 1875–1941), chilenischer Industrieller und Reeder kroatischer Herkunft. Unter kroatischen Einwanderern war er einer der erfolgreichsten Unternehmer und Patron vieler nationaler Institutionen in der Heimat und der Diaspora.

Da die Auswanderung massenhaft und organisiert von statten ging, organisierten die kroatischen Einwanderer in ihren Gastländern kompakte Emigrantengruppen, deren Mitglieder durch die Art ihrer Beschäftigung miteinander verbunden waren. Dies erleichterte auch die Bildung von Migrantenorganisationen. Die ersten Vereine kroatischer Einwanderer wurden in San Francisco (1857), Callao (Peru, 1871), New Orleans (1874), Iquique (Chile, 1874) und Buenos Aires (1876) gegründet. Meistens waren das (fraternalistische) Unterstützungs-, Kultur- und Sportvereine. Diese Vereine leisteten nicht nur Hilfe bei der Lösung alltäglicher Probleme der Einwanderer, sondern spielten vielmehr eine entscheidende Rolle bei der Erhaltung des nationalen Bewusstseins, und, in den entscheidenden Momenten, bei der Bereitstellung der materiellen und politischen Unterstützung für ihre Heimat. Die bekannteste und größte Organisation der kroatischen Einwanderer ist die Kroatische Brüderliche Union in Nordamerika. Für die Bewahrung der nationalen Identität sind schon traditionell die kroatischen katholischen Pfarreien von entscheidender Bedeutung, die älteste ist die 1894 gegründete St. Nikolaus Pfarrei in Pittsburgh.

Kroatische Brüderliche Union (Croatian Fraternal Union), die Organisation der kroatischen Auswanderer in den Vereinigten Staaten und Kanada, wurde 1894 in Allegheny City (Pittsburgh) als Kroatische Vereinigung für die USA gegründet, seit 1926 funktioniert die Organisation unter dem heutigen Namen. Sie organisiert Kultur-, Bildungs- und Unterstützungsaktivitäten, trägt dazu bei und sorgt dafür, dass die Verbundenheit und die Verbindungen zwischen der kroatischen Diaspora und der Heimat aufrechterhalten bleiben. Seit 1907 gibt die Vereinigung das Mitteilungsblatt Zajedničar heraus.
Bruno Bušić (1939–1978), Publizist, Kritiker des Tito-Regimes und Verfechter der kroatischen politischen Unabhängigkeit. Im Jahr 1972 wurde er zur Gefängnisstrafe verurteilt, wonach er ins politische Exil ging. Er wurde in Paris ermordet, in einer Reihe von Attentaten auf führende Vertreter kroatischer Auswanderer, die von der jugoslawischen Geheimpolizei verübt wurden.

Die Auswanderung setzte sich, obwohl mit reduzierter Intensität, auch nach dem Ersten Weltkrieg fort, verstärkte sich dann wieder nach dem Zweiten Weltkrieg, als sie durch den politischen Kontext angeheizt, ausgelöst wurde, egal ob es um die Auswanderung der Kroaten ging, welche die Angehörigen der im Krieg besiegten politischen Kräfte waren oder das kommunistische Regime fürchteten, oder aber ob es sich um die Auswanderung ethnischer Gruppen wegen der Grenzänderung handelte (das Optieren der Italiener aus Dalmatien, Istrien und Rijeka für Italien, die Zwangsaussiedlungen der Volksdeutschen aus Slawonien). Politisch motivierte Auswanderungen setzten sich auch in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg fort, während in den 1960er Jahren viele Kroaten nach Australien und Kanada, aber auch in die westeuropäischen Länder, vor allem nach Deutschland, Österreich, Frankreich, in die Schweiz und nach Schweden auf der Suche nach Arbeit auswanderten (sog. Gastarbeiter) und Kroatien verließen. Nach dem Kroatischen Frühling und den im Jahr 1972 darauffolgenden Repressionen kam es zu einer neuen Welle der politischen Emigration. Nicht einmal durch die Errichtung des selbstständigen kroatischen Staates wurde die Auswanderung gestoppt. Heutzutage siedeln vor allem junge, ausgebildete Menschen aus, womit diese Art der Auswanderung die charakteristischen Eigenschaften des Braindrain (wörtlich Gehirn-Abfluss) annimmt. Eine spezifische Art der Abwanderer nach dem Heimatkrieg stellt die nach Serbien sowie Bosnien und Herzegowina geflüchtete serbische Bevölkerung dar, von der bislang lediglich ein kleinerer Teil nach Kroatien zurückgekehrt ist.

Kroatisches Zentrum in New York
Kroatisches Zentrum in Geelong, Bundesstaat Victoria, Australien
Kroatisches Zentrum in Auckland, Neuseeland

Den Schätzungen zufolge umfasst die kroatische Diaspora weltweit mehr als zweieinhalb Millionen Menschen, und zwar, wenn man ausschließlich nur direkte Auswanderer und ihre Nachkommen miteinbezieht, von denen man glaubt und ausgehen kann, dass sie das Gefühl der Verbundenheit mit Kroatien bewahrt haben, was im Vergleich zur Gesamtzahl der Bevölkerung Kroatiens einen außergewöhnlich hohen Anteil darstellt. Mehr als eine Million Kroaten und ihrer Nachfahren leben in den Vereinigten Staaten und Kanada. Rund 400.000 Kroaten besiedeln Südamerika, die meisten darunter Argentinien und Chile. Die Diaspora in Australien umfasst ca. 250.000 und in Neuseeland ca. 100.000 Personen. Was Westeuropa betrifft, leben die meisten Kroaten in Deutschland (mehr als 400.000 Personen), gefolgt von Österreich (90.000), der Schweiz (80.000), Italien (60.000), Frankreich (40.000) und Schweden (35.000-40.000). In allen Phasen, während der ganzen Zeit der Auswanderung, waren die meisten Emigranten stets darum bemüht, die Verbindungen zu ihrer Heimat aufrechtzuerhalten, und ein kleinerer Teil der Auswanderer kehrte auch nach Kroatien zurück. Mit ihrer im Ausland erworbenen Berufserfahrung, den Gewohnheiten und dem Kapital haben die kroatischen Auswanderer eine wichtige Rolle im gesamten Leben des Landes gespielt.